Bestimmungsgemäß genutzte ärztliche Instrumente als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 StGB
Bislang galt, dass bestimmungsgemäß eingesetzte ärztliche Instrumente kein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 StGB sind. Eine gefährliche Körperverletzung durch eine Ärztin oder einen Arzt kam also selbst dann nicht in Betracht, wenn mit einem Skalpell die Bauchdecke geöffnet wurde und der Eingriff medizinisch nicht indiziert war. Das ist nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes nun anders. Jetzt wird sogar mit guten Argumenten vertreten, dass zu befürchten ist, dass der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung auch auf medizinisch indizierte Eingriffe ausweiten könnte.
Die Entscheidung des BGH: Beschluss vom 19.12.2023 (4 StR 325/23) zusammengefasst:
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) beschäftigt sich mit der strafrechtlichen Einordnung von chirurgischen Eingriffen unter Anwendung medizinischer Instrumente im Hinblick auf den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Kern der Entscheidung ist die Frage, unter welchen Bedingungen chirurgische Instrumente als „gefährliche Werkzeuge“ eingestuft werden können, insbesondere bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen. Das Urteil verdeutlicht die Maßstäbe, die für die rechtliche Bewertung solcher Instrumente heranzuziehen sind, und grenzt sich deutlich von der früheren Rechtsprechung ab, die auf die ältere Gesetzesfassung des § 223a StGB a.F. zurückgeht.
1. Gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB
Der Begriff des „gefährlichen Werkzeugs“ ist zentral für die Anwendung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein gefährliches Werkzeug ein Gegenstand, der aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass chirurgische Instrumente, wie beispielsweise ein Skalpell, unter diese Definition fallen, wenn sie so verwendet werden, dass sie erhebliche Verletzungen verursachen können. Diese Bewertung erfolgt unabhängig davon, ob das Instrument ursprünglich für medizinische Zwecke bestimmt war.
Die Entscheidung stützt sich auf die Feststellung, dass in den konkreten Fällen chirurgische Instrumente verwendet wurden, um die Bauchwand zu durchtrennen oder zu durchstoßen. Diese Handlungen waren objektiv und subjektiv geeignet, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Deshalb erfüllen sie die Voraussetzungen eines „gefährlichen Werkzeugs“ im Sinne der Norm.
2. Abgrenzung zur früheren Rechtslage unter § 223a StGB a.F.
Das Gericht setzt sich ausführlich mit der früheren Rechtsprechung zu § 223a StGB a.F. auseinander. Nach der alten Rechtslage wurden chirurgische Instrumente, die von einer approbierten Ärztin oder einem Arzt bestimmungsgemäß bei einem medizinischen Heileingriff eingesetzt wurden, nicht als „gefährliche Werkzeuge“ im Sinne des Gesetzes betrachtet. Die frühere Gesetzesfassung verlangte, dass ein Gegenstand entweder eine Waffe oder ein mit der Waffe vergleichbares gefährliches Werkzeug sein musste. Diese Definition setzte voraus, dass das Werkzeug für Angriffs- oder Verteidigungszwecke verwendet wurde, was bei medizinischen Instrumenten, die für einen Heileingriff eingesetzt wurden, grundsätzlich nicht der Fall war.
Das Gericht betont jedoch, dass diese frühere Rechtsprechung nicht auf die seit dem 1. April 1998 geltende Fassung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB übertragen werden kann. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung klargestellt, dass der Begriff des „gefährlichen Werkzeugs“ eigenständig ist und nicht mehr an die Verwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel geknüpft ist. Dementsprechend können auch medizinische Instrumente, die bei einem nicht indizierten Eingriff zum Einsatz kommen, als gefährliche Werkzeuge im Sinne der Norm gelten.
3. Bedeutung der medizinischen Indikation
Ein zentraler Aspekt der Entscheidung ist die Unterscheidung zwischen medizinisch indizierten und nicht indizierten Eingriffen. Während bei medizinisch notwendigen Eingriffen der heilende Zweck im Vordergrund steht, fehlt dieser Zweck bei nicht indizierten Eingriffen. Das Gericht macht deutlich, dass medizinische Instrumente, die bei nicht indizierten Eingriffen verwendet werden, nach den allgemeinen Maßstäben für gefährliche Werkzeuge zu bewerten sind.
Dies bedeutet, dass der Einsatz eines chirurgischen Instruments bei einem nicht indizierten Eingriff strafrechtlich anders bewertet werden kann als bei einem medizinisch notwendigen Eingriff. Die fehlende medizinische Indikation verstärkt die Gefährlichkeit der Handlung, da der Schutz des Patienten vor körperlichen Schäden nicht mehr im Fokus steht.
4. Objektive Gefährlichkeit von chirurgischen Instrumenten
Die Gefährlichkeit von chirurgischen Instrumenten wird anhand ihrer objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art ihrer Verwendung beurteilt. Ein chirurgisches Instrument kann erhebliche Verletzungen herbeiführen, wenn es nicht bestimmungsgemäß eingesetzt wird oder die medizinische Indikation fehlt. Das Gericht weist darauf hin, dass die Sachkompetenz der Anwenderin oder des Anwenders (z. B. einer approbierten Ärztin oder eines approbierten Arztes) allein nicht ausreicht, um die Gefährlichkeit des Instruments auszuschließen. Entscheidend ist vielmehr die konkrete Verwendungssituation.
Das Urteil stellt klar, dass chirurgische Instrumente nicht mit der Begründung vom Anwendungsbereich des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausgeschlossen werden können, dass sie keine Waffen sind oder nicht für Angriffs- oder Verteidigungszwecke bestimmt sind. Vielmehr genügt es, dass die Instrumente geeignet sind, erhebliche Verletzungen zu verursachen, wie es im vorliegenden Fall der Fall war.
5. Gesetzessystematische und teleologische Auslegung
Das Gericht stützt seine Entscheidung auf eine systematische und teleologische Auslegung des Gesetzes. Es hebt hervor, dass das Tatbestandsmerkmal des „gefährlichen Werkzeugs“ nicht nur in § 224 StGB, sondern auch in anderen qualifizierenden Straftatbeständen vorkommt, z. B. in § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB (besonders schwerer Diebstahl) oder § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB (besonders schwerer Raub). In all diesen Fällen ist anerkannt, dass ein gefährliches Werkzeug keine Bestimmung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel voraussetzt. Entscheidend ist allein die objektive Eignung des Gegenstands, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.
Auch aus teleologischen Erwägungen bestätigt sich dieses Auslegungsergebnis. Der Zweck des § 224 StGB liegt darin, besonders gefährliche Begehungsweisen von Körperverletzungsdelikten zu erfassen. Eine solche erhöhte Gefährlichkeit kann auch bei der Verwendung von chirurgischen Instrumenten bestehen, wenn diese geeignet sind, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Der heilende Zweck eines Instruments ist dabei nur dann relevant, wenn der Eingriff medizinisch indiziert ist. Bei nicht indizierten Eingriffen verliert diese Erwägung an Bedeutung.
6. Fazit und Bedeutung des Beschlusses
Der Beschluss des BGH stellt eine wichtige Weichenstellung für die strafrechtliche Bewertung von chirurgischen Eingriffen dar, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung medizinischer Instrumente. Es verdeutlicht, dass:
• Der Begriff des „gefährlichen Werkzeugs“ weit auszulegen ist und auch chirurgische Instrumente umfasst, wenn sie geeignet sind, erhebliche Verletzungen zu verursachen.
• Die frühere einschränkende Rechtsprechung zu § 223a StGB a.F. auf die aktuelle Gesetzeslage des § 224 StGB nicht übertragbar ist.
• Bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen chirurgische Instrumente genauso behandelt werden wie andere gefährliche Werkzeuge.
• Die Sachkompetenz der Anwenderin oder des Anwenders allein nicht ausreicht, um die Gefährlichkeit des Instruments auszuschließen.
Der Beschluss unterstreicht die besondere Schutzfunktion des § 224 StGB und stellt klar, dass der Gesetzgeber auf die Gefährlichkeit der verwendeten Mittel und nicht auf deren ursprüngliche Zweckbestimmung abstellt. Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die strafrechtliche Verantwortung bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen und trägt zu einer klareren Abgrenzung der Tatbestandsmerkmale bei.
Dr. Michael Bergschneider diskutiert in der StraFO 10/2024 ausführlich und überzeugend die Auswirkungen der Entscheidung auch auf medizinisch indizierte ärztliche Heileingriffe und stellt Verteidigungsansätze dar. Für die Praxis wird diese Entscheidung auch für die Patientenseite Auswirkungen haben. Eine fehlerhafte Aufklärung kann so erheblich größere Gefahren für die Ärzteschaft bedeuten, selbst wenn die Heilbehandlung indiziert war.
Bild generiert mit DALL-E, bereitgestellt von OpenAI. Nutzung gemäß den Lizenzbedingungen von OpenAI.