Dauerthema: Vertrauensperson bei medizinischer Begutachtung
Gerichte verfügen normalerweise nicht über medizinische Fachkunde. Deshalb beauftragen die Gerichte Sachverständige. Wenn dafür eine Untersuchung der Patientin oder des Patienten dafür erforderlich ist, vereinbart der Gutachter mit diesem einen Termin (in der Regel in seiner Praxis oder dem Krankenhaus, in dem er oder sie tätig ist). Darf dabei eine Vertrauensperson anwesend sein?
Das Bundessozialgericht hat sich dazu (für die Sozialgerichtsbarkeit) in einem Urteil vom 27.10.2022 (Az.:B 9 SB 1/20 R) geäußert:
1. Den Beteiligten steht es grundsätzlich frei, eine Vertrauensperson zu einer gerichtlich angeordneten gutachterlichen Untersuchung mitzunehmen, sofern deren Anwesenheit eine geordnete und effektive Beweiserhebung nicht objektiv erschwert oder verhindert.
2. Die Entscheidung über die Anwesenheit eines Dritten während einer gerichtlich angeordneten gutachterlichen Untersuchung liegt im Streitfall allein in der Kompetenz des Gerichts.
Was bedeutet das aber nun genau für die gerichtlich angeordneten Untersuchungen?
Grundsätzlich darf der Betroffene also erwachsene Familienangehörige oder sonstige nahestehende Personen als Beistand mitnehmen. Aber: Das Gericht kann den Ausschluss der Vertrauensperson bei der Begutachtung anordnen, wenn dies z.B. zur unverfälschten Beweiserhebung erforderlich ist.
Ein rechtlich relevantes persönliches Unterstützungsbedürfnis besteht besonders dann, wenn der zu begutachtende Beteiligte in der Fähigkeit, seine gesundheitliche Situation darzustellen, gehemmt oder behindert ist. Gerade bei ängstlichen oder mit der Befragungssituation überforderten Beteiligten kann eine Vertrauensperson auch dazu beitragen, Aussagefehler, Missverständnisse oder versehentliche Aussparungen in der Schilderung durch den Beteiligten zu vermeiden und damit dem Ziel, ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild der Situation des Beteiligten zu erstellen, näher zu kommen (vgl. BVerfG Beschluss vom 8.10.1974 - 2 BvR 747/73 - BVerfGE 38, 105).
Darüber hinaus kann das Recht auf Anwesenheit einer Vertrauensperson bei Untersuchungen oder Explorationsgesprächen auch der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegenüber zumindest abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen dienen (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 3.2.2015 - II-14 UF 135/14, 14 UF 135/14).
Bei Streit darüber entscheidet das Gericht. Also: vorher die Zulässigkeit der Anwesenheit einer Vertrauensperson klären.
Dies gilt (direkt) nur für die von Sozialgerichten angeordneten Untersuchungen und damit nicht in Arzthaftungsfällen vor den ordentlichen Gerichten (Amts-, Land- oder Oberlandesgerichte) aber auch nicht für die Begutachten im Verwaltungsverfahren (also bevor die Sozialgerichte angerufen werden).