Masernimpfpflicht: Urteil zur Verwendung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses
I. Ausgangspunkt und Anklage
Die Staatsanwaltschaft Verden warf der Angeklagten vor, am 03.03.2023 ein unrichtiges Gesundheitszeugnis im Sinne des § 279 StGB verwendet zu haben. Sie habe im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen eines Verstoßes gegen die Masernimpfpflicht ein "Ärztliches Gutachten" vorgelegt, das fälschlicherweise eine Impfunfähigkeit ihrer Tochter bestätigte, ohne dass eine ärztliche Untersuchung stattgefunden habe. Am 12.07.2023 erließ das Amtsgericht Stolzenau auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl und verhängte eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 50 €. Die Angeklagte legte fristgerecht Einspruch ein.
II. Hauptverhandlung und Freispruch
In der Hauptverhandlung am 23.10.2023 wurde die Angeklagte aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Das Amtsgericht argumentierte, dass das vorgelegte Gutachten keine konkrete Diagnose enthalte und somit nicht als Gesundheitszeugnis im Sinne des § 279 StGB zu werten sei. Außerdem habe die Angeklagte nicht den Vorsatz gehabt, eine Straftat zu begehen, da sie irrtümlich glaubte, mit der Vorlage des Gutachtens kein Unrecht zu tun.
III. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft Verden legte Revision gegen das Urteil ein, die von der Generalstaatsanwaltschaft unterstützt wurde. Die Revision führte zu einem vorläufigen Erfolg, da das Urteil als lückenhaft bewertet wurde. Das Gericht habe nicht festgestellt, ob das Gutachten von einem approbierten Arzt unterzeichnet war, was für die Einordnung als Gesundheitszeugnis entscheidend sei.
IV. Rechtsfehler und Rückverweisung
Das Urteil wurde aufgehoben und zur neuen Verhandlung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stolzenau zurückverwiesen. Der Grund für die Aufhebung lag in der unvollständigen Sachverhaltsfeststellung bezüglich der Unterschrift des Arztes. Falls das Gutachten tatsächlich vorunterzeichnet war, handle es sich um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis, da keine ärztliche Untersuchung stattfand.
Voraussetzungen für ein Gesundheitszeugnis:
- Es muss von einem approbierten Arzt ausgestellt sein.
- Es beschreibt den Gesundheitszustand eines Menschen, wie eine frühere Erkrankung, aktuelle Symptome oder eine Prognose.
- Eine konkrete Diagnose ist nicht zwingend erforderlich.
V. Unrichtigkeit des Gesundheitszeugnisses
Ein Gesundheitszeugnis ist unrichtig, wenn die zugrunde liegende Untersuchung nicht stattgefunden hat. Im vorliegenden Fall deutet der Wortlaut des Gutachtens auf eine vermeintliche Untersuchung hin ("aufgrund der vorliegenden Aktenlage ohne erneute körperliche Untersuchung"), die jedoch nicht erfolgte. Damit ist das Gutachten als unrichtig zu werten.
VI. Täuschungsabsicht der Angeklagten
Die Angeklagte wollte mit dem Gutachten im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens die Behörde täuschen und das Verfahren zu ihren Gunsten beeinflussen. Da keine ärztliche Untersuchung stattgefunden hatte und das Gutachten bewusst vorgelegt wurde, um die Impfunfähigkeit ihrer Tochter vorzutäuschen, liegt eine Täuschungshandlung vor.
VII. Ergebnis
Das Amtsgericht Stolzenau muss in einer neuen Verhandlung klären, ob das Gutachten vorunterzeichnet war. Ist dies der Fall, handelt es sich um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis, was eine Strafbarkeit nach § 279 StGB begründet.
Quelle: Urteil des OLG Celle vom 9.04.2024. https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/46fec96d-ffaa-4d8c-ad81-32670ac4ab7d